Öffentliche Ringvorlesung zum Thema:


Afrika - Europas verkannter Nachbar

Der interkulturelle Dialog in den Beziehungen zwischen Afrika und Europa


Prof. Dr. Tirmiziou Diallo, Gründungsrektor des Institut Universitaire des Hautes Etudes de Guinee (IUHEG) Conakry/Republique de Guinee


Derjenige, der sich wahrnimmt 

als jener, der das Gute oder das Böse tut, 

weiß nicht was die Wahrheit ist. 

(Afrikanische Weisheit)


Wenn ich mich erkännte wie ich bin, 

nicht wie ich mir erscheine, 

so würde meine Veränderung einen

Widerspruch in mir machen.

Ich würde niemals derselbe Mensch sein.

Die Identität des Ichs wäre aufgehoben.

(Immanuel Kant) 


Ich heiße Sie alle herzlich willkommen und freue mich - Dank der Initiative von Frau Helferich vom OSI-Club e.V. - unter Ihnen sein zu dürfen. Die Freie Universität Berlin ist neben der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt auch meine alma mater. Mir ist es eine große Ehre, hier über ein ebenso brisantes wie aktuelles Thema sprechen zu können. Meine Absicht wird sein, weder zu verteidigen, noch zu verurteilen, sondern lediglich zu versuchen, ein Erklärungsmuster darzustellen. 


Das Hauptthema dieser Vorlesungsreihe heißt: Afrika - Europas verkannter Nachbar. Die Auswahl dieses Hauptthemas will richtungsweisend sein und zielt auf eine tiefe und breite Bewußtseinsveränderung hin. Die Feststellung, daß Europa einen Kontinent wie Afrika verkennt, ist der erste Schritt zu einer Richtungsänderung, zur Korrektur eines seit langem währenden Irrtums. Es geht im Prinzip dabei um Erinnerung, Erinnerung als dem eigentlichen und einzig wahren Denkprozeß. Er vermag einen dorthin zurückführen, wo man den Irrtum begangen hat. Europa, wenn es sich in dieser Richtung bewegen will, wird bestimmt einer der Hauptgewinner sein. Europa verfügt über reichlich geistige Resourcen, die zum Teil ebenfalls verkannt sind, um diese Herausforderung zu meistern. Ein richtig verstandener und durchgeführter Dialog mit Afrika kann dazu vom großen Nutzen sein. 


Das Thema über das ich sprechen soll, heißt Der interkulturelle Dialog in den Beziehungen zwischen Afrika und Europa. Es umfaßt wirtschaftliche, politische, religiöse, soziale und geistige Dimensionen. Angesichts dieser Bandbreite und der Tiefe dieses Themas, werde ich mich darauf einschränken, einige Thesen aufzustellen, die mir wichtig erscheinen. Einige davon mögen für manchen, weil pointiert, provokativ erscheinen, wofür auch ich volles Verständnis hätte. Da ich meinen Vortrag frei halte, möchte um Nachsicht für etwaige Abschweifungen bitten. 


Da es um Dialog geht, muß man, denke ich, folgendes von vornherein klarstellen. Es heißt ja, daß es mindestens neun Möglichkeiten gibt mißverstanden zu werden. Daher kann ich nur für das, was ich gesagt habe, bürgen, aber nicht für das, was Sie meinen gehört zu haben, noch weniger für das, was Sie damit anfangen mögen. Die Erfahrung lehrt, daß manchmal dem Redner etwas zugeschrieben wird, was er nicht gesagt oder gemeint hat.


Das Thema für den heutigen Abend wurde vom OSI-Club e.V. vorgeschlagen. Es traf sich gut, daß es im Mittelpunkt meiner Forschungs- und Reflexionstätigkeit der letzten 10 Jahren gestanden hat. Es kommt hinzu, daß das Thema offensichtlich eines der wichtigsten unserer Zeit ist, auch deswegen, weil es in einer besonderen Weise das Verhältnis zwischen Afrika und Europa betrifft. Die Fähigkeit, bzw. die Bereitschaft zum Dialog wird sich als entscheidend für die zukünftige Gestaltung unserer Welt erweisen. Der Dialog zwischen Afrika und Europa wird indessen besonders entscheidend sein.


Mit dem Hauptthema wird wohl suggeriert, daß das Verhältnis zwischen Europa und Afrika nicht immer im Zeichen des Dialogs gestanden hat. Auch wenn die Bemühungen um den Dialog zwischen beiden Kontinenten nicht zu unterschätzen sind, so muß festgestellt werden, daß der Dialog noch in den Kinderschuhen steckt. Das liegt unter anderem in der Logik der 600 jährigen Geschichte, die das Verhältnis zwischen Europa und Afrika geprägt hat. Das Bemühen um einen echten Dialog zwischen Afrika und Europa kann nicht erfolgreich durchgeführt werden ohne die Aufarbeitung dieser Geschichte. Diese Aufarbeitung verlangt allerdings eine nüchterne, aufrichtige und intellektuell redliche Haltung. Bei der Aufarbeitung dieser Geschichte wird es sich weniger darum handeln, Schuldige für Leid und ungerechte Behandlung zu suchen, als vielmehr die tiefen Widersprüche, die jene Geschichte ausmachen, heraus zu finden und eine in die Zukunft gerichtete gemeinsame wissenschaftliche Ausarbeitung zu gewährleisten. Es wird bestimmt keine leichte Aufgabe sein. Es wird womöglich ein recht schmerzhafter Vorgang sein. Die Qualität der zukünftigen Kooperation  zwischen Europa und Afrika wird abhängen von unserer Bereitschaft diese gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten. Die Aufarbeitung einer Geschichte verlangt Offenheit, Mut und eine starke intellektuelle Redlichkeit, weil wir offensichtlich unsere ganze Vision des Verhältnisses von Mensch und Natur überdenken müssen. Deutschland hat Europa und der ganzen Welt beispielhaft gezeigt, daß eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte nicht nur möglich ist, sondern auch vom großen Nutzen für die eigene Identität und für die Gestaltung der eigenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leistung sein kann. 


Der interkulturelle Dialog ist mittlerweile zum Modethema geworden. Eine Tatsache die nachdenklich macht, denn mit der Inflation eines jeglichen Begriffs geht seine Verwässerung und damit der Verlust dessen, was er eigentlich meint, einher. Beim näheren Betrachten des Begriffs Interkultureller Dialog, kann man berechtigterweise die Frage stellen, inwieweit die Geschwindigkeit, mit der der Begriff vermarktet wird, nicht dem Begriff selber teilweise anzukreiden ist. In der Tat, der Begriff interkultureller Dialog suggeriert, daß der Dialog sich zwischen den Kulturen abspielt. Eine absurde Vorstellung, denn die Kulturen verfügen über keine Eigenschaft und über kein Vermögen, die ihnen die Durchführung eines Dialogs ermöglichen würden. Der Dialog bedarf der bewußten Tätigkeit von autonomen Menschen. Der Begriff interkultureller Dialog zeigt eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Er birgt in sich die Gefahr einer Verwechselung von Subjekt und Objekt des Dialogs. Die Kultur, der eigentliche Gegenstand des Dialogs kann leicht, bewußt oder unbewußt, als das an sich tätige Subjekt wahrgenommen werden, während das Individuum, das eigentliche Subjekt des Dialogs zum Roboter degradiert wird. Diese Perversion von Subjekt und Objekt liegt allen Theorien und mit diesen postulierten Thesen über den sogenannten Krieg der Kulturen zu Grunde.  Diese Theorien sind letzten Endes das Spiegelbild der tatsächlich intendierten Verdinglichung des Menschen. Sie sind Ausdruck eines defekten Denkens, das das Individuum zum Roboter degradieren will. Es würde zu weit führen, wollte ich hier auf alle Faktoren, die einem solchen defekten Denken zugrunde liegen und auf die damit verbundenen Gefahren für den Frieden in der Welt, eingehen. 


Ich werde nur vorschlagen, den Begriff interkultureller Dialog durch Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung zu ersetzen. Diese Formulierung postuliert und verdeutlicht die mögliche Autonomie des Individuums seiner Kultur gegenüber. Jegliches Individuum ist von einer Kultur, manchmal auch von mehreren Kulturen geprägt worden. Es ist aber niemals mit ihr identisch, abgesehen von pathologischen Fällen, ähnlich wie bei einer Überidentifikation eines Kindes mit einem Elternteil. Ohne diese postulierte Autonomie des Individuums seiner Kultur gegenüber, bleibt der Dialog eine Farce.


Zum Begriff Kultur


Ich werde hier keine Exegese über den Begriff Kultur halten. Ich werde mich darauf beschränken einige Gedanken zu formulieren, die mir für das Thema als wichtig erscheinen. Bekanntlich ist der Begriff Kultur verbunden mit dem Aufkommen dessen, was einst die bürgerliche Gesellschaftsordnung hieß, die als ein wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Emanzipationsprozeß gegenüber einer christlich-feudalen Gesellschaftsordnung zu verstehen ist. Damals galt es, nicht nur die bestehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse radikal zu ändern. Es mußte, an Stelle der bisher dominierenden, eine neue geistig-ideologische Plattform errichtet werden, die den Visionen der neuen Gesellschaft entsprach und deren legitime Interessen fördern sollte. So fand eine bemerkenswerte Wortschöpfung, aber auch eine Deutungsumwandlung zahlreicher Wörter statt, wobei manche Inhalte zum Teil pervertiert, bzw. negativ besetzt wurden. Durch das Primat des Privateigentums wurden z.B. Wörter, die an das Gemeineigentum erinnern könnten, negativ besetzt, wie etwa die Wörter gemein und Gemeinde.


Es gibt verständlicherweise Unstimmigkeiten darüber, wie der Begriff Kultur abzuleiten ist. Persönlich gehe ich von der Annahme aus, daß der Begriff Kultur als Ersatz für den Begriff Kult, bzw. Kultus geprägt worden ist. In den Jahren 1989-92 hielt ich eine Seminarreihe an  der J.W. Goethe Universität in Frankfurt mit dem Titel Vom Ritual zum Wiederholungszwang. Es würde zuweit führen, wollte ich auf jene Gesellschaftsprozesse eingehen, die dem ganzen Umwandlungsprozeß zugrunde liegen und welche Bedeutung diese für die Weiterentwicklung der Gesellschaft haben können. 


Es ist bemerkenswert, daß es das Wort Kultur in vielen Sprachen der Welt nicht gibt. So zum Beispiel in meiner Muttersprache Pullar, spricht man von Pullaku. Das Wort wird von Pullo – singular von Fulbe – abgeleitet und bedeutet so viel wie die Art und Weise der Fulbe in der Welt zu sein. Das Wort Pullaku hat nicht diesen quasi absoluten Anspruch, der bei dem Begriff Kultur gelegentlich mitschwingt. Denn wenn man sagt, es ist unsere Art zu sein, konzediert man zugleich, daß es andere Arten und andere Formen des menschlichen Seins gibt, die genuin ihre Daseinsberechtigung haben. Es hat nicht diesen einvernehmenden Impetus von Kultur, besonders dann, wenn deren Vertreter sie mit dem Attribut universell versehen.


Folgende zentrale Thesen möchte ich aufstellen, die meines Erachtens das, was wir gemeinhin Kultur nennen, im wesentlichen charakterisiert:


Kultur ist immer historisch vermittelt und daher in einem ständigen dynamischen Veränderungsprozeß begriffen. 


Kultur ist immer ein Projekt, bzw. ein Bündel von kurz-, mittel- und langfristigen Projekten mit ungewissem Ausgang.


Kultur ist immer ein eingeschränktes und unvollständiges Gebilde, das heißt partiell, weil sie nur einige Aspekte der unendlichen Vielfalt menschlicher Eigenschaften und Formen des Daseins  wahrnimmt, sie hierarchisch ordnet und je nach temporären geistigen und materiellen Gegebenheiten, die sich innerhalb dieser Kultur direkt oder indirekt artikulieren, kultiviert. Daher können wir heute nicht von einer Kultur sprechen1


Jede Kultur ist im Ansatz immer parteiisch, das heißt partial, weil sie immer dazu tendiert, ihren Mitgliedern zu suggerieren, ihre Kultur sei ein in sich abgeschlossenes Ganze und daß die sie tragenden Werte einen absoluten Charakter haben. Das kann zwar zur Stabilität der Gemeinschaft beitragen und gegen eventuelle Eindringlinge schützen, kann aber auch einen gesunden Austausch mit anderen Mitgliedern anderer Gemeinschaften hemmen und gelegentlich pervertieren.


Bei alledem scheint mir aber wichtig zu sein, daß jeder Kultur sowohl universelle, als auch partikulare Werte innewohnen, deren Kombination erst das Gesamtbild einer Kultur darstellen. Dieser Punkt muß deswegen betont werden, weil er der Angelpunkt des interkulturellen Dialogs ist, soll er ein Austauschprozeß sein. Die strenge Unterscheidung von universellen, d.h. zwar unterschiedlich formulierten aber gemeinsamen, Werten von spezifischen Eigenarten der jeweiligen Kulturen ermöglicht erst eine freiwillige und bewußte Übernahme und Integration jener Werte anderer Kulturen, die gerade notwendig, im Sinne von not-wendend, sind. Dies kann dann je nach historischem, geistigem und pragmatischem Bedarf durchgeführt werden. So verstanden, kann der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung, nicht nur geistig und materiell bereichernd, sondern auch friedensstiftend sein und garantiert eine dauerhafte und vernünftige Entwicklung aller Beteiligten.


Wenn wir davon ausgehen, daß nur der Mensch seiner Potenzialität nach universell ist, so kann man den Stellenwert des Dialogs als Lernprozeß für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft bemessen. Im Idealfall ist der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung ein Prozeß der Menschwerdung, ein Prozeß der geistigen und materiellen Bereicherung, der ständigen Erweiterung des eigenen Horizonts und letzen Endes ein Prozeß der Selbstbefreiung.


Der Dialog


Der Begriff Dialog ist heute in aller Munde. Ob dies nun zu begrüßen ist oder nicht, wird uns die Geschichte sagen. Vor etwas mehr als fünfzehn Jahren hatte ich einen Projektentwurf gemacht zur  Errichtung eines Forschungszentrums in Guinea. Darin wollte ich dem Dialog zwischen Europa und Afrika, in Form einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit, eine wesentliche Rolle einräumen. Ich reichte den Projektentwurf bei mehreren Institutionen ein, u.a. solchen, die sich mit der Entwicklungszusammenarbeit befassen: GTZ, KFW etc. Das Projekt wurde damals mit der Begründung abgelehnt, es sei zu viel von Dialog die Rede. Das Projekt wurde nie verwirklicht. Damals war man noch offen der Meinung, Afrika habe in dieser Hinsicht nichts anzubieten. Es ist erfreulich, daß alle diese Institutionen sich heute dem Dialog zugeschrieben haben. Der Dialog ist aber kein leichter Prozeß. Alle Spezialisten sind der Meinung, daß die Menschen unseres Zeitalters wenig dafür vorbereitet sind. Wir dürfen in der Tat uns keine Illusion machen. Der Dialog ist zwar vielversprechend und kennt keine vernünftige Alternative. Er ist aber ein schmerzhafter Prozeß, der Mut, Offenheit und intellektuelle Redlichkeit verlangt.


Im Zusammenhang mit dem Dialog zwischen Afrika und Europa tauchen, neben den gängigen gesellschaftlichen und psychischen Schwierigkeiten, andere Faktoren auf, die mit den historisch geerbten geistigen und materiellen Verhältnisse zu tun haben. Es bestehen sehr hartnäckige Vorurteile auf beiden Seiten. Auf der einen Seite haben wir es bei vielen Afrikaner mit einem starken Minderwertigkeitskomplex zu tun, während auf Seiten Europas ein Überlegenheitsgefühl vorherrscht. Wie auch immer diese Vorurteile historisch entstanden sind, sie bilden beide ein großes Hindernis bezüglich eines offenen und fruchtbaren Dialogs. Der Dialog verlangt zuallererst einen gegenseitigen Respekt. Die Dialogteilnehmer müssen auf gleicher Augenhöhe sein. Kann es einen fruchtbaren Dialog zwischen einem Geber und einem Empfänger geben? Müssen wir uns nicht vom Helfersyndrom erst befreien, um zu einer echten wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Zusammenarbeit zu kommen?


Afrika ist ein Prüfstein für alle jene Kräfte, die auf eine gesunde und in die Zukunft gerichtete Entwicklung hinarbeiten. In Afrika wird sich zeigen, ob Europa zu einer Rückbesinnung auf seine eigentlichen Werte, die seine Größe ausmachen, bereit ist, und d.h. ob Europa über unmittelbare Profite und riesige materielle Gewinne hinaus zu denken in der Lage ist. Wird Europa in der Lage sein, sich dem geheimen Genie scheinbar primitiver Kulturen und der lebenspendenden Fülle in den noch existierenden traditionellen Kulturen Afrikas zu öffnen? Oder wird Europa sich in der Eitelkeit zurückziehen, anstatt jene Aufrufe wahrzunehmen für eine noch mögliche Kurskorrektur, um die in der modernen Zivilisation steckenden Gefahren für Mensch und Natur gemeinsam aufzuheben? Es muß betont werden, daß der Dialog zwischen Afrika und Europa ungeahnte Möglichkeiten für eine Kurskorrektur in sich birgt. Im Mittelpunkt dieser Fragen stehen zunächst weniger die Probleme bezüglich einer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Afrikas im Vordergrund, als vielmehr die unmittelbare Selbsterkenntnis Europas, denn Europa ist die Geburtstätte dessen, was wir heute gemeinhin die moderne Gesellschaftsordnung nennen. Man muß wohl oder übel anerkennen, daß alle anderen Nationen, in denen die moderne Gesellschaftsordnung floriert, Ableger Europas sind, auch wenn manche Europa zu überflügeln scheinen.


Zusammenfassung


Der Dialog zwischen Europa und Afrika steckt noch in den Kinderschuhen.


Daß Afrika heute im Schnittpunkt weltweiter Interessen steht, kann eine einmalige Chance, aber auch ein Verhängnis für seine Bevölkerung werden. Die Natur der Beziehungen, die Europa und Afrika in der nächsten Zeit in der Lage sein werden aufzubauen, kann in diesem Zusammenhang entscheidend sein. Afrika und Europa sind nun mal, nicht nur die nächsten räumlichen Nachbaren. Sie sind auch - für die, die es wissen - seit Jahrtausenden kulturell, wirtschaftlich und politisch zusammengewachsen. Es braucht eigentlich nur einige Besinnung und Einsicht, um eine fruchtbare Kooperation aufzubauen. Dafür sind natürlich einige Bedingungen auf beiden Seiten zu erfüllen. Während in Afrika die notwendigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Reformen durchgeführt werden müssen, sollte Europa, unter anderem, die längst überholte Politik der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bevormundung revidieren und die für eine wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung Afrikas notwendigen Reformen begleiten, in dem es die reformwilligen und reformfähigen Kräfte in Afrika unterstützt. Es wird keine dauerhafte Entwicklung in Afrika geben, die ausschließlich auf Rezepten gründet, die von außen diktiert und gegen die sozialen und kulturellen Empfindlichkeiten dortiger Völker durchgesetzt werden. Ein offener und aufrichtiger Dialog zwischen Afrika und Europa könnte bestehende Vorurteile und Voreingenommenheiten substanziell korrigieren und neue Wege für eine fruchtbare Kooperation aufzeigen. Der Dialog darf nicht zur Erhaltung bisheriger Hegemonien oder als Strategie zur Durchsetzung kurzfristiger privater und egoistischer Interessen mißbraucht werden. Der Dialog sollte ein Prozeß sein, durch den die Dialogteilnehmer zu der Entdeckung des Ortes geführt werden, wo sich ihre kurz-, mittel- und langfristigen gemeinsamen, genuinen Interessen treffen. 


Ich möchte zum Schluß lediglich zwei Fragen stellen, die meines Erachtens für den Ausgang unseres Zeitalters von zentraler Bedeutung sind. Es geht mir dabei nicht nur um die Zukunft Afrikas, oder womöglich um die zukünftige Beziehung zwischen Europa und Afrika, sondern um die Zukunft unserer modernen Zivilisation überhaupt.


Die erste Frage lautet: Wird es dem, was wir die westliche Zivilisation nennen, gelingen auf jene Mission zu verzichten, die der Westen sich eigenwillig auferlegt hat, nämlich die Welt zu zivilisieren?


Ist dem, was gemeinhin der Westen2 genannt wird, bewußt, daß diese zugleich teutonische, wie imperiale Mission bereit stark diskreditiert ist und zwar insbesondere in den eigenen Reihen?


An der Stelle der Verkündung zivilisatorischer Absichten eines Eroberers, sollte eine gegenseitige Verständigung entwickelt werden. An der Stelle diverser Formen vulgärer Egoismen, müßte ein Gemeinschaftsgeist und ein Geist der gegenseitigen Verantwortung kultiviert werden. Die Zivilisation muß notwendigerweise den Charakter des Humanen tragen, wie eins die Väter der Aufklärung es verstanden haben. Der technische Fortschritt verlangt eine Zivilisation, die auf das gemeinsame Ziel gerichtet ist, nämlich die Freiheit des Menschen, der einzige Garant für einen stabilen und langfristigen Frieden. Die Zivilisation muß auf die weltweite Gemeinschaft zielen. Wenn sie lokaler, regionaler oder nationaler Natur bleibt, wird sie scheitern und womöglich untergehen. Wir müssen uns bewußt werden, daß trotz allem Anschein, die moderne Zivilisation in Gefahr ist. Die Frage, die wir in diesem Zusammenhang stellen müssen, ist, ob nicht gerade jene vom Westen mißachteten und unterdrückten Kulturen – in unserem Fall die afrikanischen Kulturen – über Antworten verfügen, die dazu beitragen könnten, eine Lösung über das Unbehagen in der modernen Kultur zu finden?


Ich mache mir die Worte vom weisen Inder Tagore zu eigen, der im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Europa und Indien dazu aufrief: Rettet Afrika, denn der Kontinent ist in Gefahr! Wenn Europa nicht das Notwendige tut, um Afrika zu retten, wird Europa von der Angst geplagt, die große Nemesis könnte sich gegen Sie richten, und zwar ausgerechnet durch die Hände derer, die sie ausgebildet, und bewaffnet hat.3 Die kulturelle, politische und ökonomische Degradation Afrikas könnte ein Verhängnis für Europa werden. Ebenso auch könnte die Wiederbelebung Afrikas ein Segen für Europa sein. Mit diesen Worten vergessen wir nicht jene Feinheit, sowie jenen Glanz und den heroischen Kampf, der einst den Geist Europas, zumal Deutschlands ausmachten, mit einem Wort, jenes Genie das in Europa geboren wurde und die Welt eroberte. 


Im Geiste dieses Genies sollte ein Dialog zustande kommen, der uns ermöglicht, die Äquivalenz der Formen unter denen die jeweiligen menschlichen Genies Ausdruck finden, zu realisieren. Der Dialog sollte uns dazu führen, die gemeinsamen menschlichen Grundwerte und die gemeinsamen Interessen zu erkennen. Der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung hat letzten Endes weniger das Ziel, sich andere Kulturen anzueigen, als vielmehr eine bessere Aneignung und eine bessere Erkenntnis der eigenen Kultur. Der echte Dialog schließt jede Form von Proselytismus aus.


Ich bedanke mich für das Zuhören und hoffe auf eine lebhafte Diskussion. Ich bin für jede Ergänzung bzw. für jede Kritik offen. Nur so kann auch ich etwas lernen. 


Diskussion


Ann-Kathrin Helfrich:

Es sind viele Bedingungen für einen Dialog zwischen Afrika und Europa notwendig, worüber wir heute sprechen wollen. Meine Frage ist, wie es sich mit konkreten Themen verhält. Wie z.B. verhält es sich mit der Universalität der Menschenrechte, d.h. Themen, die einen interkulturellen Dialog oder einen Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung heute notwendig machen und nicht auf einen Reifeprozeß warten können. Meine andere Bitte wäre, daß Sie den Begriff der geistigen Redlichkeit vielleicht noch mal etwas genauer ausführen und genauer definieren, was Sie darunter verstehen.


Diallo:

Das sind mehrere Fragen gleichzeitig. Zu dem Menschenrechten, ich hoffe es so formulieren zu können, daß es richtig ankommt. Ich habe die These aufgestellt, daß es keine Kultur gibt, die an sich universell ist. Ich hätte auch sagen können, daß keine Kultur über ein Monopol über das Universelle verfügt. Mir fällt dazu ein Satz meines Lehrers Horkheimer ein, der sagte, daß man erst von der Freiheit spricht, wenn sie bereit abhanden gekommen ist. Damit wollte er sagen: wenn die Menschen tatsächlich in Freiheit leben würden, wäre die Freiheit so selbstverständlich, daß keiner darüber sprechen, geschweige denn Verlangen nach ihr haben würde. Der intensive Ruf nach Menschenrechten verrät die Tatsache, daß sie nirgendwo in der Welt verwirklicht worden sind. Deren Formulierung ist zu begrüßen und ist das Verdienst Europas, auch wenn andere Völker diese ihrerseits überdacht, wenn auch nicht niedergeschrieben haben. Dabei müssen wir aufpassen, universell nicht gleichzusetzen mit dem, was eine Nation Kraft ihrer Macht allgemein durchsetzen kann. Die Menschenrechte sollen das Prädikat universell verdienen, werden das Werk aller Nationen und aller Menschen sein. Jede Form von Erpressung, jede Form merkantilistischen Handelns wiederspricht dem Geist der universellen Menschenrechte. Ihre Verwirklichung - ich sage ganz bewußt nicht Durchsetzung – verlangt die Partizipation von allen Beteiligten. Die Idee der Menschenrechte teilen alle vernünftigen Menschen. Wenn es Diskussionen bezüglich der Menschenrechte gibt, ist es weniger über den Inhalt, als vielmehr über die Form, d.h. über jene Kriterien durch welche sie definiert werden und darüber, wie sie zu erreichen sind. Jeder Mensch strebt nach Freiheit, nach Selbständigkeit, nach einem würdigen Leben und nach Glück. Im Grunde genommen kann kein vernünftiger Mensch gegen das Prinzip der Menschenrechte sein, besonders jene nicht, die getreten, unterdrückt und mißachtet werden. 

Die intellektuelle Redlichkeit ist gar keine einfache Angelegenheit. Wir wissen alle, was Verdrängung bedeutet, aber auch, wie schwierig der Zugang zum Verdrängten ist. Was aber die Wenigsten wissen, ist daß der Verdrängungsprozeß, wie ihn Freud definiert hat, keine universelle Angelegenheit, sondern eine fast ausschließlich moderne Erscheinung ist. Wenn nun der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung auch und ins besonders, als Reflexionsprozeß, als intrakultureller Dialog verstanden wird, so können wir uns leicht vorstellen, wie schwierig der Dialog zwischen einem durch die Moderne geprägten Menschen und einem durch eine, wie auch immer geartete, Tradition geprägten Menschen sein kann, da die Bereitschaft sich an die individuelle und kollektive Geschichte zu erinnern unterschiedlich geprägt ist. Wir dürfen, meines Erachtens, Werte wie Menschenrechte, Freiheit etc. weder zu einer merkantilistischen Handelsware, noch zu einer Waffen degradieren lassen.


Frank Altemöler, Universität Münster:

Herr Diallo, ich würde Sie gerne fragen, wo liegen die Chancen für einen Dialog im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen? Es wird je oft gesagt, daß die westlichen Staaten, die USA, die europäische Union versuchen, ihre neoliberalen Konzepte den afrikanischen Staaten aufzuoktroyieren, aufzustülpen. Mich würde interessieren, was Afrika dem entgegnet und wie es vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen Übermacht zu einem Dialog kommen kann?


Diallo:

Ich glaube in meinem Vortrag deutlich formuliert zu haben, daß jeder Versuch, Entwicklungsrezepte von außen aufzustülpen, die nicht im Einklang mit dem Geist und dem Empfinden der betreffenden Bevölkerung stehen, keine solide und langfristige Entwicklung ermöglichen können. Es geht dabei weniger um einen ideologischen Kampf zwischen einem sogenannten neoliberalen Topos und anderen Wirtschaftsformen, als vielmehr um eine wissenschaftliche und historische Feststellung. Wenn wir genau hinschauen, werden wir feststellen, daß womöglich der Neoliberalismus eher in Afrika möglich zu sein scheint, als beispielsweise in manchen zentralistisch geführten Ländern in Europa. Dieser Neoliberalismus, wenn ich mich Ihrer Diktion bedienen darf, wird natürlich ein ganz anderer sein, als zum Beispiel in den USA oder Deutschland, vorausgesetzt, daß er tatsächlich von afrikanischen Wirtschaftsträger durchgeführt wird.

Zu der ersten Frage, bezüglich der Chancen eines Dialogs im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen, kann ich nur sagen, daß es wünschenswert wäre, wenn die Wirtschaftsverhandlungen zwischen Europa und Afrika ähnlich verlaufen würden, wie sie üblich sind zwischen europäischen Staaten, bzw. zwischen europäischen Wirtschaftsträgern. Wie Sie selber betont haben, haben wir es aber aufgrund der wirtschaftlichen Übermacht Europas mit ungleichen Partnern zu tun. Ein Dialog kann in dieser Konstellation leicht zur Farce werden, es sei denn daß neben der wirtschaftlichen Übermacht auch die Vernunft mitmacht, gerade auch über die unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen hinaus, d.h. auch die langfristigen Perspektiven mitberücksichtigt werden, was nicht immer der Fall ist.


Yoshua Kwesi Aikins, Student des Otto-Suhr-Instituts Berlin:

Vielen dank für Ihren Vortrag, den ich sehr herausfordernd und inspirierend finde. Meine Frage betrifft die erwähnten Phantasien über Afrika. Diese Vorstellungen, die Europa von Afrika hat, betreffen Afrika nicht wirklich und Glück dem, der das nicht wahrnimmt oder liest. Aber betrifft es nicht doch viel zu viele Menschen in Afrika, was für Phantasien in Europa über Afrika herrschen, weil Europa eben die materielle Macht und auch die  kulturelle Hegemonie hat, um das zu forcieren, um das über die Konditionalitäten von sogenannter Hilfe aufzuzwingen. Wie kann man das angehen? Was ist zu tun, wenn eine Phantasie so verzerrt, daß Afrika so ohnmächtig das aufgezwungen werden kann?


Student:

Meiner Meinung nach krankt der Dialog zwischen Afrika und Europa daran, daß Europa ständig mit erhobenem Zeigefinger Menschenrechte und Demokratie anmahnt. Die Chinesen sind da viel pragmatischer. Bei den Chinesen spielen Menschenrechte und Demokratie überhaupt keine Rolle. Was ist Ihnen lieber? Europa mit erhobenem Zeigefinger oder die pragmatischen Chinesen?


Diallo:

Weder noch. Es ist, glaube ich keine Frage von entweder-oder. Entweder Europa oder China. Sie könnten auch viele andere außereuropäische Länder nennen. Da aber heute die unmittelbare wirtschaftliche Bedrohung scheinbar aus China kommt, fokussiert man die Aufmerksamkeit auf China. Wenn Sie zwischen den Zeilen lesen, habe ich gesagt, was mir lieber wäre bezüglich der witschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika. Ich habe ebenfalls das angesprochen, was in den Beziehungen zwischen Afrika und Europa notwendigerweise geändert werden muß, um die wirtschaftliche, politische und kulturelle Kooperation besser zu gestalten. Zu den zu verändernden Punkten gehört das paternalistische Verhalten Europas gegenüber Afrika. Ich bin der Meinung, daß Europa aufhören muß, den Rest der Welt immer zu belehren. Die kolonialen und imperialen Zeiten sind nicht mehr aktuell. Die Völker, die einst direkt von Europa bevormundet wurden, wollen keine Bevormundung mehr. Die Zeichen der Zeit sind anders geworden. Sie haben mit Recht China erwähnt. Sie könnten auch Indien anführen. Wer hätte vor 20 oder 30 Jahren gedacht, daß China und Indien heute jene wirtschaftlichen Weltmächte sein könnten, die sie nun mal sind. Daher mein Plädoyer für eine neue, überdachte Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika. Mit dem Zeigefinger erreichen wir nichts. Die historischen Bindungen zwischen Europa und Afrika sind so stark, daß wir es schaffen müssten. Europa muß verstehen, daß seine Stärke in Afrika liegt und daß, wenn Afrika schwach bleibt, auch Europa schwächer wird. Um so stärker Afrika wird, um so besser können wir gemeinsam die internationale Konkurrenz, die nicht aus Asien kommt, abwehren. Das können wir nicht erreichen, wenn Europa weiterhin den Oberlehrer spielen will. 


Student:

Sie haben viele Kritikpunkte am europäischen Gesellschaftssystem genannt. An der Art und Weise, wie Europäer zwischenmenschlich miteinander umgehen. Also ganz individuell: wie sich der einzelne zu dem anderen verhält. Da haben Sie Defizite aufgezeigt, zumindest unterschwellig. Sie haben Probleme in der Kommunikation untereinander festgestellt. Ich würde das unterstützen. Ich kann mir auch vorstellen, daß Afrika uns da eventuell voraus ist. Sie haben auch die Menschenrechte definiert. Die Umsetzung der Menschenrechte ist dann erreicht, wenn jeder Mensch glücklich ist, wenn jeder Mensch anerkannt wird in Liebe, wenn jedem Mensch mit Würde begegnet wird. Welche Organisationsform schlagen Sie vor für eine Gesellschaft, um diesen Zustand möglichst zu erreichen zwischen den Menschen oder sind Sie der Auffassung, daß man diese Verwirklichung der Menschenrechte gar nicht organisieren kann, sondern den einzelnen Menschen selbst überlassen muß?


Diallo:

In dem von Ihnen vorgetragenen Zusammenhang, stört mich zunächst das Wort organisieren. Das, worum es geht, läßt sich meines Erachtens nicht organisieren, ebenso ist es schwierig zu bestimmen, was Glücklichsein ist und welche äußeren Kriterien können beweisen, wer und wie glücklich ist. Adorno sagte, wenn ich sage ich bin glücklich, dann ist das Glück bereit abhanden gekommen (frei zitiert). Vielleicht verhält es sich auch so mit der Freiheit. Wir können uns Institutionen wünschen, die die Voraussetzungen dafür schaffen könnten. Ich kann mir nur vorstellen, daß wenn Kinder in relativer Freiheit aufwachsen – die absolute Freiheit gibt es nicht - sie Liebe und Achtung erfahren, wird es ihnen leichter fallen, andere Menschen zu achten. Wenn sie aber mißachtet werden, egal ob das in Afrika oder Europa geschieht, bleibt die Möglichkeit, daß jene Kinder die Menschenrechte glaubwürdig verteidigen können. Solche Kinder wären in der Lage, eine Institution auszudenken, die Menschenrechte nicht durchsetzt, sondern bewahrt. Jene Kinder würden, in ihrem Alltag, anstatt jemanden zu belehren, wie er sich zu verhalten hat, eher den Schwachen helfen und sie leiten. Der beste Lehrer ist jener, der in sich stimmig ist. Bevor man jemanden sagt, wie er sich zu verhalten hat, soll man sich selbst so verhalten. So hat der andere die Möglichkeit ein lebendiges und nachahmenswertes Beispiel zu sehen. Wenn es aber eine Diskrepanz zwischen dem Diskurs und dem konkreten Verhalten dessen, was gelehrt werden soll, gibt, dann ist es kein Wunder, wenn der Lernende nicht das wird, was man aus ihn machen möchte. Die deutsche Verfassung ist meines Wissens die einzige in der Welt, in der heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das spricht für mich mehr als alle Paragraphen, die im Zusammenhang mit den Menschenrechten ausgedacht werden.

Die Frage der Menschenrechte ist keine leichte, weil sie die wichtigste Frage unserer Zeit ist. Deswegen ist sie auch eine Angelegenheit, die uns alle betrefft und nur gemeinsam, und zwar jenseits aller nationalen und lokalen Interessen und Eitelkeiten, verwirklicht und bewahrt werden kann. Wir haben heute, die aufgrund der Lehren, die aus den verheerenden Kriegen gezogen wurden, die UNO, die den Frieden zwischen den Völkern garantieren, sowie die Menschenrechte verteidigen soll. Wir kennen die Schwächen dieser Organisation. Wer mißachtet heute die Grundsätze der UNO am meisten? Sind es die Afrikaner, die Asiaten, die Europäer?


Student:

Der, der sie ins Leben gerufen hat.


Diallo:

Ich weiß nicht. Der, den Sie meinen, war nicht der einzige, der sie ins Leben gerufen hat. Es fing wohl erst in Genf an. Es ist eine alte Geschichte Europas. Es kam erst zum Völkerbund und dann zur UNO. Die UNO ist nicht das alleinige Werk derer, die heute im Namen der Menschenrechte Krieg führen. Es ist eine Institution an deren demokratischen Charakter man zweifeln kann. Nicht etwa deswegen, weil es einen Sicherheitsrat gibt, in dem nur einige Staaten sitzen und manche von ihnen ein Vetorecht ausüben, sondern weil es eine Staatenorganisation ist. Man muß im Einzelnen darüber nachdenken. Es gibt so etwas wie eine Staatsraison, die nicht immer deckungsgleich mit den Interessen der vertetenen Völker ist. Vielleicht liegt da eines der Probleme, die wir haben. Es gibt offensichtlich einiges zu erneuern.

Zur Frage der europäischen Phantasien und ihrer Auswirkungen auf große Teile der Bevölkerung in Afrika, die nicht lesen können, was über sie geschrieben wird: ich glaube zu wissen, was Sie meinen. Ich wollte lediglich betonen, daß die breite Bevölkerung, die nicht lesen und schreiben kann - zumindest was die europäischen Sprachen betrifft – diese Phantasien zur Kenntnis nimmt. Man sagt schließlich im Deutschen: was ich nicht kenne, macht mich nicht heiß. Es ist eine andere Frage, ob die afrikanische Bevölkerung unter dem ganzen System nicht leidet. Sie leidet sehr darunter ohne die Hintergründe und die Mechanismen zu kennen, die ihr Leiden verursachen.

Zu der Frage nach dem Dialog und der Wirtschaft glaube ich, daß was zur Zeit an Dialog stattfindet, sich hauptsächlich auf dieser Ebene abspielt, sofern ein Dialog zwischen zwei Ungleichen stattfinden kann.


Studentin:

Sie hatten gesagt, daß die Begegnung mit dem anderen im Grunde erstmal nur eine Möglichkeit darstellt, über sich selbst zu erfahren. Ich habe mich auch damit beschäftigt und mich immer gefragt, ob das Problem des abendländischen Denkens, wie ich auch Adorno verstehe, im Prinzip das ist, daß man immer meint, den anderen zu verstehen. Die Chance von gelingender Erfahrung aber wäre zu verstehen, daß man immer mit dem anderen eine Identität ausdrückt, die er gar nicht hat. Auf der einen Seite überlege ich mir das erkenntnistheoretisch, auf der anderen glaube ich, daß ein Dialog möglich ist. Gleichzeitig frage ich mich, wie geht das denn weiter als eine Negation dessen, was ich vom anderen denke. Die wirklich wahre Erfahrung, die in der Begegnung passiert, ist, daß man negiert, was man angenommen hat und sozusagen den anderen anerkennt als ganz anders als man gedacht hat. Aber wie kann man aus diesem Denken, das ein immer gleiches herstellt, wie kann man wirklich etwas vom anderen erfahren, ohne zu postulieren, man müsse einfach dem anderen zuhören. Ich habe die Sorge, daß das abendländische Denken so verkorkst ist, daß es aus seinem immergleichen nicht mehr heraus kommt.


Diallo:

Wissen Sie, ich kann da keine einfache Antwort geben, da die Sache sehr komplex ist. Ich versuche dennoch einige Elemente für eine mögliche Antwort zu geben. Ich verstehe das Dilemma, in dem Sie sich befinden. Es entspricht dem, was Sie in aller Kürze über das moderne abendliche Denken gesagt haben. Wer sich ernsthaft mit der Geschichte der geistigen Entwicklung Europas beschäftigt hat, weiß etwa, wie sich der Bruch zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mensch und Natur im 16. bis 18. Jahrhundert vollzogen hat. Es ist eine lange und komplexe Entwicklung, die zur Geburt der Moderne geführt hat. Ich kann leider hier darauf nicht eingehen. Ich kann hier nur auf einige Punkte hinweisen, die helfen können, einige Elemente für eine mögliche Antwort zu finden. Sie haben bestimmt die gemeinsame Schrift von M. Horkheimer und T. W. Adorno Die Dialektik der Aufklärung gelesen. In dieser Schrift haben wir eine zentrale Figur aus der griechischen Mythologie, nämlich Odysseus auf der Suche nach seiner Identität. Und wie er durch List seine Irrfahrt überlebt, unter anderem dadurch, daß er sich gegenüber dem Cyclope, symbol des primitiven Patriziers, Personne, d.h. Niemand nennt. Nach der langen Irrfahrt – in der chaotischen Welt – kehrt er nach Ithaka zurück, ein Ort der Ruhe und der Besinnung. Man könnte die Irrfahrt des Odysseus mit dem modernen Abenteuer vergleichen. Sie kennen auch die Schriften von M. Horkheimer Über die Kritik der instrumentellen Vernunft. Sie wissen daher auch, was die formelle Logik oder die formelle Vernunft ist. Die formelle Logik ist eine Denkstruktur, die nach dem Prinzip des Ausschlußverfahrens verfährt. Der eigentliche Dialog, jener Dialog, den Sie meinen, nämlich als Lern- und Erkenntnisprozeß, kann kaum mit der formellen Logik durchgeführt werden. Dieser Dialog, den Sie meinen, verläuft wesentlich analogisch. Aufgrund wissenschaftlicher Ergebnisse wissen wir, daß wir im Prinzip keinen Zugang zum anderen haben. In der Kommunikationstheorie bezeichnet man den anderen als eine Art blackbox. Deswegen sage ich, daß der andere uns immer auf uns zurückwirft und daß wir letzten Endes der Erkenntnisgegenstand sind. Dabei ist wichtig zu wissen, daß das, was wir beim anderen wahrzunehmen glauben, nur deswegen möglich ist, weil es eine Entsprechung in uns hat. Man sagt schließlich, daß das Auge nur deswegen die Sonne sehen kann, weil es sonnenhaft ist. Hier entsteht eine ganz sublime Form der Gegenseitigkeit, die mehr ist als die vulgäre Dialektik. Die moderne Denkform, und damit auch die moderne Wissenschaft, richtet sein Erkenntnisbemühen auf das Gegenüber als Objekt, egal ob es sich um materielle Gegenstände oder um Menschen handelt. Diese Denkform ist nur soweit operativ, als es sich um die rein formale Ebene handelt, d.h. um die Manipulation von Gegebenheiten. Es findet natürlich auch ein Dialog auf dieser Ebene satt und diese Ebene des Dialogs ist auch zur Zeit die gängigste, weil einfachste. Auf dieser Ebene des Dialogs geht es allerdings nicht um Erkenntnis im eigentlichen Sinn und wenn es doch zu einer Erkenntnis kommt, dann meist nur durch Zufall. Bei dem Dialog, wie Sie ihn verstehen wollen, erfährt das moderne logische Denkmuster seine Grenzen. Das logische Denkmuster ist letzten Endes ein Manipulationsinstrument, aber kein Erkenntnismittel. Das moderne Denkmuster hört dort auf, wo das eigentliche Denken - im Sinne von Erinnern, d.h. die Bewegung nach Innen - beginnt. Eigentlich hieß Denken ursprünglich Erinnern (wir finden diese Bedeutung noch in dem Wort Andacht, das sowohl Erinnern, als auch Besinnen bedeutet) und hat nur teilweise mit der Gehirngymnastik zu tun, die wir Moderne so glanzvoll durchführen können. Nebenbei bemerkt, wir dürfen die Leistungen der modernen Denkmuster nicht unterschätzen. Ihm verdanken wir unsere technischen Leistungen. Es hat sich als sehr effektives Herrschaftsinstrument erwiesen. Die Überlegenheit Europas und die seiner Ableger hat bestimmt damit zu tun. Wie gesagt, ich kann in Kürze nicht auf die vielfältigen Ursachen des Unbehagens in der modernen Kultur eingehen. Es ist ein zu komplexes Thema, das einer eigenen Behandlung bedarf. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß gerade jene, die konsequent den Irrweg gegangen sind, eben jene sind, die eher die Lösung finden. Glücklich, wer wie Odysseus, den Weg nach Ithaka findet. 


1 Zwei Fragen sind hier zu stellen: a) unterliegen wir heute einer fatalen Verwechselung, in dem wir meinen, alles was sich verallgemeinern läßt, gleichsam als universell bezeichnen zu sollen? b) Läßt sich das Universelle mit Gewalt, Erpressung oder List durchsetzen? Eine gegebene Kultur kann Werte wie Freiheit, Gleichheit formulieren und sie für sich verwirklichen und andere dazu animieren, sie ebenfalls zu verwirklichen. Diese Werte sind aber keine Handelswaren. Die selbst verschuldete Unmündigkeit, um Kant zu paraphrasieren, ist ein Kampf, den jeder selbst führen muß.


2 Das was der Westen genannt wird, ist keine geographische Bestimmung, sondern eine kulturelle und geistige Haltung, deren Geburtsstätte zwar in Europa liegen, die aber ihre Vertreter in allen Kontinenten findet. Alle heute als erfolgreich bezeichneten Nationen sind physische und oder geistige Ableger Europas, einerlei ob sie gelegentlich gar als erfolgreicher als Europa erscheinen mögen. Daher ergibt sich zwangsläufig die zentrale Bedeutung Europas für jedwede qualitative Veränderung jetziger politischer, kultureller und ökonomischer Weltordnung. 


3 Hier muß ich eine Parenthese machen, um daran zu erinnern, daß die Erziehung und Ausbildung für die Entwicklung Afrikas von zentraler Bedeutung ist. Aber nicht jede Ausbildung und nicht jede Erziehung. Es muß mit Deutlichkeit gesagt werden, daß die bisher praktizierte moderne Erziehung es geschafft hat in wenigen Generationen einen Menschen heranzuziehen, der mit der eigenen Kultur einen tiefen Bruch erlitten hat, einen quasi undefinierbaren, oberflächigen, fleddernden, entwurzelten Menschen, eine Art intellektueller Paria, der weder zu Afrika, noch zu Europa gehört.